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Offenstall und Ferienweide:Paradies für Pferde in der Herde oder Herd für Konflikte?

  • Lara Beaudouin
  • vor 5 Tagen
  • 6 Min. Lesezeit

Wollen Sie Ihrem Pferd das unbeschwerte Galoppieren auf der Weide und sozialen Kontakt in der Gruppe ermöglichen, während Sie sich eine Auszeit gönnen? Oder sind Sie gar der Überzeugung, dass ihr Vierbeiner sich in einem Offenstall wohler fühlt als in einer konventionellen Boxenhaltung? Hierzu ein paar Gedanken aus der praktischen, als auch juristischen Sicht.


Adobe Stock Foto
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Pferde sind Herdentiere und brauchen angemessen Sozialkontakt. Dies sieht auch das Tierschutzgesetz vor. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Unterbringungsmöglichkeiten, die diesem Bedürfnis nach sozialem Austausch entgegenkommen. Die Haltung im Offenstall ist wohl die gängigste Art und hat sich auch grundsätzlich bewährt – doch diese Haltungsform ist weder für jedes Pferd geeignet noch ohne Probleme behaftet.

 

Will man das Tier neu in einen Herdenverband einbringen, sollte man einiges beachten. Ein Stallwechsel ist für jedes Pferd stressig. Für Pferde, die ihr bisheriges Leben in einer Einzelbox verbracht haben und sich nun neu in einem Gruppenverband behaupten und ihren Platz finden müssen, eine grosse Herausforderung. Die Umgebung und die Artgenossen sind fremd, weshalb eine behutsame Integration wohl der Schlüssel zum Erfolg ist. Man muss dem Pferd genügend Zeit zum Eingewöhnen geben und mit dem Reitstallbesitzer ausführlich besprechen, welchen Charakter es hat und in welche Gruppe es wohl am besten passen würde. Es gibt gemischte Gruppen, in welchen Stuten und Wallache zusammenstehen und dann wiederum Konzepte, wo strikt geschlechtergetrennte Gruppen geführt werden. Grosszügige Platzverhältnisse sind von Vorteil, doch darf nicht angenommen werden, dass dies allein für eine unproblematische Integration genügt. Nein, dafür braucht es etwas mehr als nur grosse Wiesen, nämlich ein Integrationskonzept, wache Augen und Ohren und Pferdeverstand sowie eine geeignete Infrastruktur, die eine sukzessive Integration in eine bestehende Gruppe ermöglicht. Die Pferde bilden in einer Herde klare Strukturen und bei einer genügend grossen Anzahl Tiere entstehen wiederum Untergruppen. Es ist deshalb von Vorteil, wenn Integrationsboxen und Weiden bereitstehen, so dass die Tiere sich langsam annähern und den ersten Riech- und Körperkontakt aufbauen können, ohne dass dabei erhöhte Verletzungsgefahr besteht. Letztlich ist die Beobachtung der diversen Verhaltensweisen der Tiere, die Kenntnis über einzelne Charaktere und des sozialen Verbandes eine wichtige Hilfe, um entscheiden zu können, wann das trennende Band zwischen dem Neuankömmling und der Herde entfernt werden kann. Nicht desto trotz bleibt es aber immer ein Risiko, Pferde im Verband zu halten, weshalb bei Sportpferden nach wie vor die Einzelhaltung die beliebteste Haltungsform darstellt.


Solche Kämpfe können böse enden, die fahrlässige Umzäunung mal ausser acht gelassen (Adobe Stock Foto)
Solche Kämpfe können böse enden, die fahrlässige Umzäunung mal ausser acht gelassen (Adobe Stock Foto)

 

Wer ist verantwortlich für die Eingliederung eines Neuzugangs in die Herde und wie sieht es mit der Haftung aus? 

Unser Nachbarland Deutschland entschied letztes Jahr in einem interessanten Fall. Und zwar fällte das Oberlandgericht (OLG) Brandenburg ein Urteil (Brandenburgisches Oberlandgericht 16.02.2021 Az. 3 U 6-17), in welchem es verdeutlichte, dass bei einer Eingliederung eines Pferdes in einem Herdenverband für den Stallbetreiber eine hohe Verantwortung bestehe und er deshalb umfassende Sorgfaltspflichten zu erfüllen habe, ansonsten er für Schäden haftbar sei.

 

Im vorliegenden Fall ging es um einen eineinhalbjährigen Junghengst, der mittels Pferdeeinstellvertrages in eine Pferdepension gebracht wurde. Das Tier sollte in die Junghengstgruppe integriert werden, die bis anhin aus fünf eineinhalb- bis zweieinhalbjährigen Hengsten bestand. Ausserdem sollte die Robusthaltung und Fütterung des Junghengstes übernommen werden. Ohne weitere Eingliederungsmassnahme wurde das neue Jungtier mit den anderen auf die Hengstweide gestellt – nach dem Motto: «Debrouille toi», was soviel heisst wie «schlag dich selbst durch …».

 

So geschah es dann auch. Es kam zu Rangordnungskämpfen und das junge Tier erlitt starke Verletzungen. Er hatte ein trübes Auge und zeigte Bewegungsstörungen. Der Tierarzt diagnostizierte eine spinale Ataxie (griechisch ataxia = Unordnung). Das Pferd hatte unkoordinierte Bewegungsabläufe, schwankte und zeigte Gleichgewichtsstörungen. Diese Bewegungsstörungen können durch Schädigung sensibler Nervenbahnen im Rückenmark hervorgerufen werden. In vorliegenden Fall wurde die Ataxie mit höchster Wahrscheinlichkeit durch die von den anderen Pferden verursachten Verletzungen ausgelöst. Der Besitzer verklagte den Stallbetreiber auf Schadenersatz, bestehend aus dem Wert des Tieres sowie die aufgelaufenen Tierarztkosten. Im Verfahren ging es um mehrere strittigen Punkte. Einerseits um die rechtliche Einordnung des abgeschlossenen Einstellvertrages und dann um die Frage der vorgenommenen Eingliederung des Tieres im Herdenverband durch den Stallbetreiber.

 

Das OLG bestätigte die bestehende Rechtsprechung zum Thema der rechtlichen Qualifikation des Einstellvertrages und machte erneut deutlich, dass aufgrund der Komponenten Versorgung und Fütterung des Tieres nicht ein Mietvertrag, sondern ein Verwahrungsvertrag (§ 688 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches, BGB) angenommen wird. Auch in der Schweiz kennt man ein ähnliches Institut. Wir reden hier jedoch von einem Hinterlegungsvertrag nach Art. 472 ff. Obligationenrecht (OR). Dabei sprechen wir von einem Aufbewahrer (Stallbetreiber) und einem Hinterleger (Pferdeeigentümer). 

 

Warum ist eine rechtliche Auseinandersetzung bei der Frage der Vertragsqualifikation wichtig? 

Es geht um die Frage der Haftbarkeit und damit auch welche Sanktionen nach spezifischem Vertragstypus anwendbar sind. Eine Haftbarkeit aus einem Vertrag ist in aller Regel einfacher durchzusetzen als eine ausservertragliche Haftung. Bei der Haftung aufgrund eines Hinterlegungsvertrags sprechen wir von einer Kausalhaftung. Das bedeutet, dass man grundsätzlich haftet. Man kann sich dieser Haftung nur mit einem Unschuldsbeweis entziehen, indem man darlegen muss, dass man kein Verschulden am Schaden hat. Das ist unter Umständen sehr schwierig.

 

Im vorliegenden Entscheid führte das OLG aus, dass die vertragliche Hauptpflicht darin bestehe, ein Tier zu versorgen und zu füttern. Es gehe nicht darum, einfach nur einen umschlossenen Raum dem Tier zu überlassen. Es ist demnach typusprägend, dass man bei Eingehen des Vertrages die Übernahme der Fürsorge und der Obhut des Lebewesens übernehme. Damit wurde festgelegt, dass die Haftungsfrage nach dem Verwahrungsvertrag zu regeln ist. Das Gericht beurteilte sodann die konkreten Massnahmen des Stallbetreibers uns stützte sich dabei auf ein Gutachten eines externen Experten.

 

Im Junghengstfall musste sich der Stallbetreiber verantworten, da er die Integration des Tieres leichtsinnig vornahm: «Wie hier verfahren worden ist, dass das Pferd einfach zur bestehenden Herde auf die Koppel gelassen wurde, so verfährt man üblicherweise nicht. Das wird zwar öfters so gehandhabt, ist aber sträflicher Leichtsinn». Der Stallbetreiber konnte sich auch nicht von seiner Haftung befreien, indem er geltend machte, dass das Tier auch bei Einhaltung seiner Obhutspflichten Verletzungen erlitten hätte. Das Gericht bemerkte, dass auch bei einer schrittweisen Integration eines in eine bestehende Herde einzugliederndes Pferd eine latente Gefahr bestünde, dass dieses bei Rangkämpfen im Herdenverband durch Tritte, insbesondere im Bereich Wirbelsäule, verletzt würde. Selbst wenn eine Integration zuerst unproblematisch erscheine, müsse man aufgrund der Unberechenbarkeit des tierischen Verhaltens eine engmaschige Überwachung vornehmen. Bei einer zumindest täglichen Kontrolle und schrittweiser Integration hätte man die Verletzungsgefahr durch Rangordnungskämpfe erheblich verringern können. Eine solche Kontrolle wurde jedoch gar nicht durchgeführt und dies wurde durch das Gericht als grobfahrlässig eingestuft.

 

Die in Deutschland erfolgte Rechtsprechung und Begründung in diesem Sachverhalt, wäre meines Erachtens auch nach Schweizer Recht gleich ausgefallen. Damit wird eines klar: Wer Pferde bei sich einstellt, hat eine Obhut- und Sorgfaltspflicht. Es handelt sich um eine Kausalhaftung, aus der man sich nur mittels eines Exkulpationsbeweises befreien kann. Das bedeutet, dass auch nach Schweizer Recht primär eine Haftung angenommen wird und der Stallbetreiber sodann beweisen muss, dass er alles erdenklich Nötige und Übliche vorgenommen hat, damit kein Schaden entsteht. Eine pauschale Haftungswegbedingung im Einstellvertrag wäre hier nicht rechtlich bindend.


Geht das wohl gut oder wäre ein Kennenlernen mit einem Zaun dazwischen eher angebracht? (Adobe Stock Foto)
Geht das wohl gut oder wäre ein Kennenlernen mit einem Zaun dazwischen eher angebracht? (Adobe Stock Foto)

 

Der Traum von Freiheit für seinen Vierbeiner in einer Gruppe muss schrittweise erfolgen. Auch bei einer bereits bestehenden Integration müssen immer und immer wieder Kontrollen durchgeführt und allenfalls Tiere in eine andere Gruppe umverteilt werden. Ich spreche hierzu aus eigener Erfahrung. In den letzten Jahren habe ich meine beiden Wallache (19 und 8 Jahre) ohne Bedenken auf die gemeinsame 1 ha grosse Weide rauslassen können. Als dann eine junge Stute zu meiner Pferdefamilie dazu kam, musste ich alle drei auf getrennten Weiden grasen lassen, um zu vermeiden, dass der jüngere Wallach vom ranghöheren Wallach verletzt wurde. Wie habe ich das gemerkt, dass eine solche Massnahme nötig ist? Ganz einfach, durch Beobachtung der Körpersprache aller drei Tiere. Der ältere Wallach gab dem Jüngeren bereits in der Box deutlich zu verstehen, dass die Lady zu ihm gehöre und er gefälligst Abstand zu halten habe. Die Stute wiederum wollte lieber beim jüngeren Wallach anbandeln. Das Konfliktpotenzial war demnach offensichtlich und das Risiko von Schlag- und Bissverletzungen gross, obwohl beide Wallache ansonsten «best Buddies» sind.


Friedliches Weiden nebeneinander (Adobe Stock Foto
Friedliches Weiden nebeneinander (Adobe Stock Foto

 

In einem solchen Fall wäre es fahrlässig, diese Körpersprache zu ignorieren und auf bestehende Strukturen und Gewohnheiten zu vertrauen. Jede neue Konstellation erfordert eine neue Beurteilung und wenn dies mit Sorgfalt und Verstand durchgeführt wird, ist einem «wild und happy Life» in der Gruppe nichts entgegenzusetzen. Allerdings muss man auch bereit sein, «Betadine» und sonstige Wundversorgungsmittel griffbereit zu haben und die einen oder anderen kleinen Blessuren als Kollateralschaden mit Humor weg zu stecken. Will man das seinem Liebling nicht zumuten, muss man wohl oder übel bei einer konventionelleren Haltung bleiben – ansonsten ist bald Krach im Stall – und zwar in aller Regel bei den Zweibeinern.


Entspannt in der Offenstallhaltung (Adobe Stock Foto)
Entspannt in der Offenstallhaltung (Adobe Stock Foto)

Artikel von Lara Beaudouin, Rechtsanwältin Stans, Advokatur Beaudouin

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